Black Hair

Foto von Nicole Grimm
Foto von Nicole Grimm

Bad-Hair-Life? – Über das Aufwachsen mit Afro-Haaren

Bücher, Technik, Kleidung – als Kind ist man von vielem begeistert. Eine Sache, die mich besonders faszinierte? – die glatten Haare meiner Freund*Innen. Ich wünschte mir ihre langen Haare, den glänzenden Schein, die augenscheinliche Unkompliziertheit sich einen Zopf zu machen. Denn so einfach war das bei mir nicht. Als Kind einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters hatte ich die krausen Locken meiner afrikanischen Seite geerbt. Und zwar keine eher welligen Locken, die über die Schulter hängen, sondern kleine, kringelige Afro-Haare, die schwer zu bändigen waren und gefühlt nicht wachsen wollten. Ich würde zwar nicht sagen, dass ich die Haare gehasst habe, aber ich fühlte mich immer anders und versteckte mich heulend vor Friseurbesuchen, die notwendig waren, weil keiner in meiner Familie mit den Haaren klarkam. In der Schule und von Bekannten wurden meine Haare teilweise ohne Konsens angefasst – wie bei einem Tier in Streichelzoo. Zum Glück kam das in den letzten Jahren jedoch nicht mehr vor. Manche Klassenkamerad*Innen fanden es auch lustig, zu testen, ob Radiergummis von meinen Haaren abprallen.

Ich idealisierte europäisches, glattes und nicht-krauses Haar, „good hair“ halt. Auch unter Schwarzen Menschen wurden lange größere Locken bevorzugt (Dies ist unter dem Begriff „Texturism“ bekannt und hängt auch mit der Bevorzugung von dem europäischen Ideal näher-stehenden Dunkelhäutigen zusammen – genannt „Colorism“). Meine Schwester, deren Haare nicht ganz so kraus sind wie meine und die ihre Haare lange glättete, beneidete ich etwas. Die Haare zu glätten, erschien so viel einfacher, als sich mithilfe von Youtube-Tutorials durch die Anzahl an Conditioners und Haar-Ölen zu kämpfen. Braid-Out, Twist-Out, Waveformers, Haarwaschroutinen für die unterschiedlichsten Haarstrukturen: Auf Youtube findet man zu allem etwas. Auf der einen Seite war diese einigermaßen neue Beschäftigung mit Schwarzem Haar toll, zeigte Möglichkeiten und ließ ein Gefühl der Gemeinschaft entstehen, auf der anderen Seite war ich überfordert von dem Angebot. Auch die Tatsache, dass man viele Produkte für afrikanische Haare, die mehr Feuchtigkeit brauchen, nicht in Geschäften fand, machte es nicht besser. Lange trug ich meine Haare deshalb sehr kurz oder unter einem Tuch ähnlich eines Bandanas versteckt und wurde einige Male auch für einen Jungen gehalten. Auch heute binde ich mir die Haare für ein Job-Interview zusammen oder trage sie in einem Dutt, statt mit einem Afro zu gehen. Immer wieder kamen Kommentare von Freund*Innen, Schulkamerad*Innen etc. mit der Frage, warum ich mir denn nicht auch die Haare glätten würde? Was ich denn vorhabe mit ihnen zu machen? Nach der ersten Schulzeit trug ich eine Zeit lang Braids, wodurch meine Haare zu wachsen anfingen. Bald konnte ich verschiedene Frisuren machen und fing an mit der Vielfältigkeit meiner Afro-Haare zu experimentieren: Afro, Twist-Out, Braid-Out, Waveformers, Dutt, Zopf, Braids usw. Plötzlich schienen mir meine Haare nicht mehr limitierend, sondern eröffneten eine breite Möglichkeit an Stylen zwischen denen ich mich entscheiden durfte.

Vor allem durch meine Haare fand ich mehr zu mir selbst, entwickelte einen eigenen (auch Kleidungs-)Style und entdeckte für mich neu, was Weiblichkeit eigentlich bedeutet. Auch wenn ich meine Haare wahrscheinlich nicht freiwillig abschneiden würde, halfen mir meine wechselnden Frisuren für mich neu zu definieren, was eine weibliche Frisur ist und mich zu fragen, ob man als Frau überhaupt unbedingt „weibliche“ Haare haben muss. Auch zum Tragen meines krausen Afros musste ich mir Selbstbewusstsein anlegen: Die Haare waren zwar endlich lang, aber nicht glatt, nicht glänzend, nicht dem westlichen Ideal entsprechend. Im Nachhinein bin ich dankbar für diese Zeit. Dadurch, dass meine Haare nur geglättet perfekt waren, musste ich lernen mit ihnen umzugehen, die Weiblichkeit in nicht langen, nicht glatten Haaren zu sehen. Es hat mir meiner Meinung nach geholfen mein Bild von Feminität zu verfeinern – auch, wenn ich viele Frauen kenne, die in ihren 20ern das Schönheitsideal hinterfragen. Auch der Umgang mit meinen Haaren in meinem Umfeld veränderte sich in späteren Jahren: Ich bekam Spitznamen für meine Afro-Haare und Komplimente für dessen Vielseitigkeit.

Eine Rolle spielt hierbei bestimmt auch die steigende Diversität in Fernsehsendungen, Filmen und Büchern. Es wird vor allem im Internet gerne über die Besetzung von (Haupt-)Rollen wie z. B. Annabeth Chase in der neuen Percy Jackson-Serie gemeckert, jedoch muss ich wirklich sagen, dass es hilft sich repräsentiert im TV zu sehen. Eine Serie, die hier meiner Meinung nach Pionierarbeit geleistet hat, ist die US-amerikanische Serie „The Wire“. Die Serie spielt in einer überwiegend von Schwarzen bewohnten amerikanischen Stadt und porträtiert diese in all ihren Schichten: Ausgehend von einer Polizei-Einheit, die einen Drogen-Fall lösen will, zeigt „The Wire“ Stück für Stück wie Polizei, Gewerkschaften, Gerichte, Politik, das Schulsystem und Journalismus sich gegenseitig beeinflussen und das dysfunktionale System der Stadt aufrechterhalten (sehr große Guck-Empfehlung, auch wenn man Zeit braucht, um hereinzukommen! Die Serie wird nicht ohne Grund als eine der Besten aller Zeiten gelobt). Hierbei gibt es kein Schwarz und Weiß – Beide Seiten werden detailliert beleuchtet und ein dunkelhäutiger Hauptcharakter ist eher Standard und nicht die Ausnahme. Serien, Filme und Bücher wie diese sorgen für mehr Sichtbarkeit von alternativen Haarfrisuren und auch in der Mode- und Make-Up-Welt sieht man immer wieder krause Löckchen. Dadurch sind auch Produkte für meine Art von Haar öfter in Geschäften zu finden, wie zum Beispiel bei dm. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ein anderes kleines, Schwarzes Mädchen mithilfe von Youtube-Videos, den richtigen Haar-Produkten und einer kleinen Prise Überforderung versuchen kann die Frisuren, die sie im TV sieht, nachzustylen.

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