Nach dem Ende des zweiten Feiertages ist die Weihnachtszeit nun offiziell vorbei. Sofern nicht bereits selbst die Flucht vor der Familie ergriffen wurde, verschwinden nun so langsam alle wieder in die Orte aus denen sie kamen. Wir haben uns ausgetauscht mit den lieben Verwandten und alten Freunden, wir haben erzählt was wir alles geleistet haben und gehört, was die anderen so leisteten. Wie sehr wir die anderen wertschätzen zeigten wir ihnen mit teuren Geschenken, sofern das nötige Kleingeld parat war. Der Einzelhandel sprach, wie jedes Jahr im Übrigen, von Rekordgewinnen von 94,5 Milliarden Euro. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es dennoch für den Präsidenten des Handelsverbandes Deutschland Josef Sanktjohanser: „Die Schere zwischen Groß und Klein, Stadt und Land, zwischen Fachhandel, traditionellen Kaufhäusern und großen Ketten geht immer weiter auseinander.“
Nein ich möchte jetzt hier nicht eine Lanze für den armen Einzelhändler um die Ecke brechen, der sich in direkter Konkurrenz zu den Großkonzernen sieht. Ich möchte darauf hinweisen, dass hier zwar über eine Schere gesprochen wird, aber nicht die wichtige Schere. Die Schere zwischen Arm und Reich.
Ich zeige kurz was ich meine an ein paar Beispielen, wie dem Verteilungsmonitor des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) von 2016. Nach diesem Bericht wird die Ungleichheit in Deutschland sogar unterschätzt. Das ist nicht wirklich besonders überraschend. Gehen wir mal nicht von der offiziellen Zahl der Arbeitslosen aus, sondern von Menschen die unter oder am Existenzminimum leben. Rechnen wir die alle mit ein kommen wir auf 3.334.762 Menschen die in prekären Verhältnissen leben. Viele Kinder hatten daher keine allzu schönen Weihnachten im Sinne der Wohlstandsgesellschaft. Da gab es nicht die neueste Playstation oder die coole neue Jacke von Hollister, da gab es gelinde gesagt nichts weiteres als die sozialromantische Vorstellung einer prekären Familie, die ja noch sich selbst hat.
Wie sehr Menschen unter dieser sozialen Kälte leiden, äußert sich dann in Ausgrenzung. Warum? Unsere Gesellschaft ist von Statussymbolen geprägt! Statussymbole wie das Handy, das neue MacBook oder das neue Auto. Hast du kein IPhone, hast du nicht nur kein IPhone: die Wohlstandsgesellschaft labelt dich auch gleich noch als Loser. Wieso? Du kannst es dir einfach nicht leisten zu den coolen Kids zu gehören. Für die Glücklichen mit dem bisschen Luxus bist du damit nicht nur so Arm, sondern wirst auch noch dafür abgewertet. Ein Hoch auf diese doch so liberale und aufgeklärte Gesellschaft. Nach unten tritt es sich eben immer noch am besten, anstatt die Verhältnisse zu reflektieren. In dem Drang, doch zu denen da oben zugehörig zu fühlen, kommt es dann zur Verschuldung. Von solchen Verschuldungen sind vor allem Jugendliche betroffen. Damit beginnt oft eine Karriere als Schuldner*in. Das sind allerdings nur ein paar Aspekte der anderen Seite der Weihnachtszeit hier in Deutschland, sehen wir das alles global kann gar nicht so viel gegessen werden, wie mensch kotzen müsste.
Wir machen es dennoch alle! Immer und immer wieder zur ungefähr gleichen Zeit beginnt der Exodus aus dem Studihabitat an den heimischen Herd. Nur sollten wir uns bei der ganzen Dudelei von Wham und anderen Schandtaten der Popmusik eine Frage stellen. Drückt das wirklich Wertschätzung für diese Menschen aus, die wir da besuchen? Wir versichern Ihnen immer wieder, dass wir sie lieben, nehmen aber nicht sie zum Grund unseres Besuches sondern das von der Verwertungslogik durch und durch korrumpierte Weihnachtsfest. Anstatt einfach mal so zu ihnen zu fahren, brauchen wir einen Anlass. Der Anlass ist Weihnachten und der Stress beginnt schon viel früher. Wir wollen ja Ansprüchen gerecht werden und auch etwas tolles schenken, daher rennen wir in die Läden und erzeugen liebestrunken den alljährlichen Rekordumsatz. Wir kaufen irgendeinen mehr oder weniger unnützen Bimbes und knallen diesen dann unter den Weihnachtsbaum. Damit zeigen wir den anderen Menschen nur keine Nähe. Wir kaufen uns frei. Wir kaufen uns frei tatsächlich auf einer emotionalen Ebene mit dem Menschen gegenüber zu interagieren. Lieber erkaufen wir uns das gute Gewissen, ja unsere Liebe in Form einer Uhr, Seife, Duschgel, etc. Das Traurige bei diesem Ritual der Entfremdung ist, dass wir uns nicht eingestehen, dass wir keine Emotionen zeigen, sondern Waren.
Auch knallharte Linke sind nicht frei von diesem Zwang, da wird lieber eine vegane Bambuszahnbürste, importiert aus Sri Lanka, unter den Weihnachtsbaum legen um die Welt ein wenig zu verbessern. Aufklärungsarbeit sieht nur leider anders aus. Der Marx unterm Weihnachtsbaum, oder das super coole – bio, fair, trade, gesegnet, etc. – Müsli von AlnaturaTeegutIrgendeinehippiebiofirma machen da den Braten auch nicht fett. Klassenkampf kann nicht unterm Weihnachtsbaum beginnen. Die negative Auslegung vom Krampfhaften „Antiweihnachten“ ist allerdings auch nicht viel besser. Anstatt dieses ganze Verwertungsgedöns zu kritisieren wird es einfach umgedreht. So fühlt sich das Weihnachtsfest bestimmt umso individueller an, ist aber doch eher Identitätspolitik und Selbstbeschäftigung einer Szene, die nur noch von der Abgrenzung untereinander lebt.
Daher plädiere ich für eine Welt ohne Weihnachten! Wir sollten wieder mit Menschen zusammenkommen, weil wir sie mögen, nicht weil wir müssen. Die Gesellschaft diktiert uns nicht nur heiteres Beisammensein – und den hemmungslosen Konsum – sondern macht uns beim Normenbruch noch ein schlechtes Gewissen. Daher plädiere ich für Freiheit, die Freiheit von der Konsumgesellschaft auch mal Urlaub zu machen. Es gibt nichts Schöneres, als sich einfach mal im Vollsuff der geistigen Kräfte mit der Verwandtschaft zu unterhalten. Wir könnten tatsächlich Spaß haben ohne uns mit irgendwelchen Geschenken zu bestechen. Mehr Dummgebabbel beim Gelage, statt aufgesetzte Freundlichkeit! Wir müssen endlich wieder in der Lage sein Emotionen auszudrücken ohne an den bloßen Gedanken daran Atemnot zu bekommen. Emotionen sollten nicht nur das Motiv für den Warenkauf sein, wir sollten sie pur übermitteln. Denn ohne die Entkopplung von Emotionen und irgendwelchem materiellem Gedöns, werden wir uns nur immer weiter entfremden. So schaffen wir zwar eine funkelnde Welt, aber auch eine Leere – wer will das schon? Uns ist schon gar nicht mehr bewusst wie sehr die Wirtschaft dieses Weihnachtsfest eingenommen hat. Wir vergessen allzu gerne, dass Santa Claus, der Weihnachtsmann von Coca Cola, so sehr vereinnahmt wurde, dass er nicht mehr vom Konzern zu trennen ist. Damit wurde nicht nur das Weihnachtsfest in seiner Symbolik komplett eingenommen, sondern auch wir. Menschlichkeit contra Konsum, Emotionen gegen Verwertungslogik, Liebe gegen Weihnachten.
In diesem Sinne: Santa must Die!
Additional Reading:
http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61763/einkommensschichtung
https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine-sozialkunde/138379/soziale-ungleichheit
http://www.zeit.de/thema/soziale-ungleichheit
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2017/oktober/kinderarmut-ist-in-deutschland-oft-ein-dauerzustand/
http://www.zeit.de/wirtschaft/2017-10/ungleichheit-kinderarmut-deutschland-armutsfalle
https://www.dkhw.de/unsere-arbeit/schwerpunkte/kinderarmut-in-deutschland/armutsbericht-2017/
https://www.waz.de/mediacampus/fuer-schueler/zeus-regional/niederrhein/fuer-jugendliche-ist-das-handy-ein-statussymbol-id7975309.html
https://www.schau-hin.info/news/artikel/statussymbol-smartphone-wenn-werbung-wuensche-weckt.html
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Jugendliche-auf-Dauerempfang-Handy-Statussymbol-und-Schuldenfalle-101292.html
Der Artikel beleuchtet zwei Dinge, die nicht miteinander in Verbindung stehen. Erst wird sich über die Schere zwischen Arm und Reich beklagt, später dann darüber, dass es keinen familiären Zusammenhalt gäbe, sondern es nur um das Verschenken und Erhalten von Gegenständen ginge. Daher fehlt für mich der Zusammenhang in diesem Artikel.
Ich beziehe mich mal auf den familiären Aspekt: Weder sehe ich mich zur Weihnachtszeit gezwungen, zu meiner Familie zu fahren, noch war ich genervt von ihr, ja es flossen vielmehr ein paar schwerlich verdrückbare Tränen beim Abschied. Wir sehen uns auch außerhalb von Weihnachten, jedoch ist es schön, feste Daten im Jahr zu haben, zu denen man sich auf jeden Fall wiedersehen und gemeinsam Zeit verbringen kann.
Geschenke gibt es bei uns, aber keiner bildet sich darauf etwas ein oder beurteilt danach, ob Weihnachten schön oder schlecht verlaufen ist. Geschenke erhalten und vergeben hat doch oftmals vielmehr eine lustige Komponente, und über allem steht einfach nur, richtig: Das familiäre Beisammensein.
Ich finde es überaus anmaßend, was hier in die Welt gesetzt wird. Für den Autor tut es mir leid, dass er wohl nicht das warmherzige Gefühl an diesem Datum erhalten kann, was Weihnachten für viele andere ausmacht. Auch, dass er denkt, sozialer Erfolg hinge an Statussymbolen. Ganz persönlich habe ich da völlig andere Erfahrungen gemacht und bin nicht traurig, dass ich weder ein Smartphone, noch ein Hollister-Kleidungsstück (oder irgendeine andere bekannte Marke) besitze, und es hat mich auch nie eingeschränkt oder Freundschaften unterdrückt. Tatsächlich ist das nämlich völlig egal.
Jeder ist seines Glückes Schmied. Das gilt sowohl für Statussymbole als auch für Weihnachten. Jeder kann Weihnachten verbringen, wie er möchte – und sich nicht von jemandem diktieren lassen, wann er gefälligst familiäre Nähe zu suchen hat. Das kann jeder tun, wann er will – und sei es eben zu so festen Daten wie an Weihnachten.
Der Mensch, der nie seine Familie besuchen möchte und dies gezwungenermaßen an Weihnachten tut, der kann es auch einfach ganz lassen, muss sich aber nicht darüber beschweren, dass das ja alle so machen und wie nervig es ist. Dann hat derjenige eben traurigerweise kein tiefes Band zur Familie, aber auch das ist seine eigene Entscheidung. Und wenn jemand am anderen Ende Deutschlands wohnt, sich aber auf feste Feiertage freut und diese familiär besetzt, dann ist das genauso gut durchführbar. Als ob so etwas bewertbar wäre.