Das Fahrrad, was eine segenbringende Erfindung! Eine gesundheitsfördernde und klimafreundliche Alternative für den urbanen Nahverkehr. Smogfreie Innenstädte natürlich vorausgesetzt, sonst ist es nicht so zuträglich für die Gesundheit. Einfach und schnell kommen damit auch die Landauer Studierenden zu ihren geliebten Campusflächen. Ein Blick auf Massen von Fahrrädern vor dem Unigelände hinterlässt ein ausdrucksstarkes Bild.
Ähnlich dem Ausspruch Wilhelm II, dass das Automobil niemals das Pferd ablösen würde, dachten wohl die Städteplaner Mitte des 20. Jahrhunderts über die Beziehung des schillernden Automobil mit klapprigem Fahrrad. Die typische amerikanische Großstadt ist das aussagekräftigste Beispiel hierfür. Die Stadtgebiete wurden in Wohnen, Freizeit, Einkaufen und Arbeit durch lange Wegstrecken getrennt, welche nur mit dem Auto zu bewältigten sind. Diese Ansicht ändert und dreht sich im Moment. Das Fahrrad wird nun mehr denn je als das urbane Kurzstreckenbeföderungsmittel der Zukunft identifiziert. 50% aller zurückgelegter Wegstrecken in urbanen Gebieten sind unter 5km. Mit einer anständigen ausgebauten Rad-Infrastruktur sind diese gut und einfach mit dem alten Drahtesel zu überwinden. Dieses Fahrradzukunftsgeplänkel sickert in alten Städten wie Kopenhagen oder Amsterdam in die Stadtneuplanung mit ein und erzeugt erste Fahrradkomfortzonen. Leuchtspuren auf den Radwegen, gesonderte Fahrradbrücke, Trittbretter an Ampeln, um nicht mehr vom Fahrrad steigen zu müssen und Vorfahrtsregeln gestalten das Radfahren selbst in einer Großstadt angenehm. Versucht man hingegen z.B in Berlin sich als Fahrradfahrer*in mit dem Stadtverkehr anzulegen, wünscht man diesem mutigen Menschen eine gehörige Portion Glück. Bevor wir weiter im Zukunftsnebel herumstochern, erstmals ein Blick zu den Anfängen.
Betrachten wir die Entstehung unter einem ökonomischen und damit auch immer soziologischen Blickwinkel. Die Entwicklung geht zeitlich eng einher mit einer Verstädterung der Bevölkerung und der um sich greifenden Industrialisierung der Arbeit, welche im großen Werken und Fabriken gebündelt wird. Die neuen Wegstrecken, welche die neu entstandene Klasse der Arbeiter, zu seinem Tätigkeitsort zurücklegen musste, erhöhte sich im Gegensatz zu seiner vormals ortsgebundenen Tätigkeit. Der Wohnort war zumeist auch der Ort der Arbeit, welche untrennbar vereint waren. Mit der einhergehenden Verbesserung des Straßennetzes durch die Makadam-Methode wurde es einfacher mittelkurze Wegstecken zu bewältigen. Einfach selbst betriebene Radtransportmittel. Die alten und unebenen Straßen aus alter Zeit wurde langsam in Rente geschickt. Die vorherigen Kopfsteinpflaster waren wegen ihrer Unebenheiten nur recht langsam und mühsam zu bewältigen. Der moderne Nahverkehr konnte entstehen. Die ebenen Grundlagen für die Nutzung eines Fahrrads war gelegt. Die Möglichkeit erreichbarer Wegstrecken zum Arbeitsplatz wurden der Nährboden für eine kostengünstige Möglichkeit der Arbeiter, durch seine eigene Kraft, an den Ort seiner Verwertung zu bringen. Die doch recht simple Konstruktion eines Rads erlaubte eine schnelle und einfache Herstellung. Es wurde mit dem Rad eine Möglichkeit geschaffen, die neu entstandene Teilung von Wohnort und Arbeitsstätte selbst zu überbrücken. Bei der Entstehung des Drahtesels war also sein vornehmlicher Zweck die Verwertung dieses Gegenstandes.
Zeitwechsel: Springen wir ins 21. Jahrhundert. Ein großer Teil der gegenwärtigen Vorstellung dieses Fortbewegungsmittels ist wohl die des Freizeitgerätes. Heute mehr denn je zuvor ist es für den Großteil der Bevölkerung ein Gegenstand mit dem ein Mensch seine begrenzte Freizeit nutzen kann. Radtouren sind sichtlich nicht unbeliebt und auch die einfache Tatsache, dass viele Menschen, welche in der westlichen Welt aufgewachsen sind, Radfahren können, sprechen für seine Beliebtheit. Radfahren zu können ist eine Selbstverständlichkeit geworden. Die ungebrochene Beliebtheit der E-Bikes und die Absatzsteigerung zeigen, dass das Rad noch lange nicht antiquiert ist. Die zweckgebundene Seite ist heutzutage dennoch ein weiterhin wichtiger Teil des Rads. Es ist ein Mittel zum Zwecke der Mittelstreckenbeförderung. Heute rast man selbstverständlich von A nach B. Das Rad hilft die allgegenwärtige Schritttemposteigerung des Alltags weiter voran zu treiben. Die Möglichkeit, sich unabhängig schnell fortzubewegen, ist mehr und mehr eine allgemeine Voraussetzung. Dank des Rades, kann jeder Mensch seine Zeit noch besser einteilen. Anstatt gemütlich zu der Arbeit zu schlendern, kann die eingesparte Viertelstunde für andere Aktivitäten genutzt werden. Das Perfide an der Sache mit dem Rad ist nun, dass viele Nutzer*innen nur die Aspekte der erheblichen Vereinfachung und die preiswerte Möglichkeit der Fortbewegung sehen, während es zu einer selbst auferlegten Verlängerung ihres Elends wurde. Ein Mittel der Fortbewegung ist ins Private übergegangen und wird diesem überlassen. Die chronisch verarmten öffentlichen Institutionen werden somit weiter aus der Pflicht genommen, in den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln zu investieren. Davon ist dann auch die erweiterte Fahrbahn für Radfahrer betroffen. Es sollte heutzutage den Bürger*innen ermöglicht werden, durch die Anbindung an das öffentliche Nahverkehrsnetz, ihren Bildungsort/Arbeitsstätte zu erreichen. Statt mehr Fahrradständer sollte man für besseren Nahverkehr streit(k)en. In ihrer Blindheit sehen sie ihre eigene Ausnutzung nicht und feiern sie sogar als individuelle Befreiung von den Umständen, wodurch diese eher zementiert werden. Das Rad als Verkehrsmittel ist eine umweltfreundliche und gesunde Selbstermächtigung. Diese Möglichkeit sollte aber nicht andere Möglichkeiten durch ihre Selbstverständlichkeit untergraben. Sie kann und wird nicht jedem Menschen selbstverständlich sein, sei es durch körperliche oder geistige Behinderung. Diese unhinterfragte Selbstverständlichkeit mit dem sich doch jeder auf den Sattel schwingen soll, ist die Problematik.
Nächster Sprung: Die positive Seite. Das Rad hat trotz aller Zweckmäßigkeit eine Umdeutung erfahren. Freizeitgerät ist es nicht ohne Grund. Hier zählt nicht nur das nun erreichbare Tagesziel, sondern auch der Weg dorthin eine wichtige Rolle. Der selbst zurückgelegte Weg durch die mehr oder weniger belassene Natur, eröffnet einen Ausweg aus der verstädterten Welt. Für kurze Zeit der Stadt zu entkommen und das nächste Naherholungsgebiet mit seinen ländlichen anmutenden Tavernen erleben, ein Fluchtfahrzeug. Ein Gerät, das zum Mittel der Verstädterung genutzt wurde, ist teilweise zu einem Objekt geworden, genau diesem Prozess zu entkommen. Ein Funke von Natur wird erfassbar und erlebbar gemacht. Ein weiterer Punkt ist der Rausch der Geschwindigkeit und der Gefahr. Das Vorpeitschen des Windes im Gesicht und das bewusste Weglassen des Fahrradhelms charakterisieren diesen Zustand. Die Aufregung und Adrenalin, welcher uns das Radfahren ermöglicht, ist eben ein wichtiger Baustein seiner steten Faszination.
Das Rad ist eine zwiespaltige Sache. Auf der einen Seite ermöglicht es uns, die Umgebung selbstbestimmt zu erkunden, auf der anderen Seite ist es eine selbst auferlegte Beschneidung. Eine eigene Reflexion über Gegenstände des Alltags gehört zu einem ausdifferenzierten Meinungsbild. Damit bleib mir nichts weiter zu sagen als schraubt die Standräder ab und fahrt selbstbestimmt durch die Welt.
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