Deutschland stöhnte und schwitzte unter der Hitzewelle. Arbeiten müssen wir trotzdem, ob „9 to 5“ oder sonst über den Tag (oder die Nacht) verteilt. Und es wird gearbeitet, „Siesta“ hört sich spanisch an. Doch man spricht langsam über die Lockerung von Dresscodes. Eine Kolumne.
Die Temperaturen erreichen jeden Tag über 30 Grad Celsius, in einer Woche wird der Rekordwert für den Juni gleich zweimal gebrochen: Am Mittwoch waren es im brandenburgischen Coschen und im sächsichen Bad Muskau 38,6 Grad, am Sonntag wurde der Wert mit 39,6 Grad Celsius in Bernburg/Saale in Sachsen-Anhalt direkt überholt – so weit der Deutsche Wetterdienst DWD. Es war im Juni noch nie so heiß in Deutschland seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnung.
Häufiger liest und hört man nun von der Möglichkeit einer „Siesta“ – morgens arbeiten, mittags entspannen, sich abkühlen und dann gegen Abend nochmal ran. Wer kann, macht es. Selbstorganisiertes Arbeiten im Studium beispielsweise stellt eine Grundlage dafür dar (wenn man nicht gerade eine Veranstaltung mit Anwesenheitskontrolle hat), aber auch Arbeitszeitmodelle wie das der Gleitzeit könnten eine Chance sein.
Keine Frage: Auch wenn es nicht in allen Berufen (bspw. im Polizeidienst) zu machen ist, müssen wir über andere Arbeitszeiten angesichts der sich verschärfenden Klimakrise nachdenken. Natürlich zieht das auch das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach sich, denn wer alleine einfach einen Fahrtweg zur Arbeit von über einer Stunde hat, wird diesen nicht viermal am Tag fahren wollen. Doch dies nur am Rand.
Die Kleidung macht‘s
Was wir einfacher und dennoch effektiv im Umgang mit den hohen Temperaturen ändern können, erscheint trivial: Die Kleidung. Statt Schlips und Kragen auch offen sein, statt der Oxford-Schuhe auch Loafer oder Mokassins im Business-Kontext tolerieren (was beispielweise im mediterranen Italien ganz normal ist). Wieso muss es im Büro generell ein Anzug sein? Solange man keine repräsentative, sondern überwiegend administrative Funktion ohne Außenwirkung hat, sollte die Bekleidung zweitrangig sein: Was zählt, ist das zuverlässige Erledigen der Arbeit.
Für Jens Jessen, Feuilletonist bei „Die Zeit“ und langjähriger Redakteur bei der „Berliner Zeitung“ oder der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, ist die Frage der Kleidung im Sommer eine der Selbstachtung und Disziplin. Bereits 2009 äußerte er sich zu der Thematik in „Die Zeit“, jüngst am 26.06.2019 in einem Beitrag des Deutschlandfunks. Herausgefordert durch den in Flip-Flops und Feinrippenunterhemd gekleideten Moderator Korbinian Frenzel, fragte er diesen, ob er noch fähig zur Arbeit sei – er selbst kam im Anzug, „um arbeitsfähig zu bleiben und auch arbeitswillig“.
Jessen rät dazu, auch bei hohen Temperaturen in üblicher Business-Kleidung auf der Arbeit zu erscheinen. Er lehnt es ab, sich so zu kleiden wie zum Strandausflug. Womöglich greift bei ihm ein Prozess des neuro-linguistischen Programmierens oder des Behaviorismus, doch das ist reine Spekulation. Der Journalist überträgt jedoch sein eigenes Empfinden eins zu eins auf andere – und wählt dazu auch direkt das Extrem der Kleidung eines Strandausflugs.
Schlechte Kleidung = Schlechte Motivation?
Hier sollte man differenzieren: Sicherlich macht es Sinn, wenn man sich nicht gerade im Feinrippunterhemd auf der Arbeit präsentiert, doch weshalb soll es unbedingt ein kompletter Anzug sein? Ein Social-Media-Redakteur beispielsweise kann seine Arbeit womöglich ebenso gut in kurzer Hose und T-Shirt erledigen oder gar besser, da er nicht die Hälfte seiner Aufmerksamkeit darauf verwenden muss, dass sein Kreislauf der Wärme standhält. Andere Kleidung heißt nicht gleich geringere Motivation heißt nicht gleich schlechtere Arbeit: Man kann – bei passendem Beruf – auch in kurzen Hosen arbeiten.
Wie gesagt, überträgt Jessen sein Empfinden direkt auf andere Menschen: Er müsse sich verordnen, dass er „jetzt [im] Dienst“ und „nicht am Strand“ sei. Ja, für ihn mag das gelten, andere werden damit kein Problem haben. Doch er greift sogar noch weiter und fordert explizit, dass Frauen Achselhöhlen und Beine zu rasieren haben, jedoch nicht zwecks Attraktivität, sondern zum Ausdruck von Selbstachtung. Nun, er als Mann muss es ja nicht machen.
Sicher sollte man sich auch bei Hitze dem Kontext angemessen anziehen, doch es gibt einigen Spielraum, den man bisher oft noch sehr einengt. Können es nicht auch Espadrilles oder Loafer statt langer Strümpfe in Oxfords sein? Die Entscheidung, wie er bzw. sie sich kleidet (und auch, ob und er bzw. sie sich rasiert), sollte letztlich bei jedem Menschen selbst liegen.
Doch bei all der Diskussion um Business-Kleidung sollten wir jene nicht vergessen, die Tag und Nacht vollbekleidet für die Gesellschaft, für jedes Individuum da sind und bei denen es wirklich keinen Spielraum gibt: Pflege- und Rettungspersonal, Polizei und Feuerwehr, um nur die prägnantesten Vertreter zu nennen. Da kommt einem das Schwitzen in Uni und Büro tatsächlich lächerlich vor.
Bilderquelle: pixabay.com
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