Wie die Landauer „Corona-Rebellen“ sich mit Rechtsextremen einlassen und warum das Menschenrechtscamp jetzt Support braucht. Ein Kommentar.
Am 12.09.2020 beklatschte sich in Kandel das rechtsextreme Konsortium mit dem Arbeitstitel „Frauenbündnis“ und rief dazu auf, seine kruden Verschwörungsmythen und „Inhalte“ in die Welt zu tragen – auch zu den Landauer „Corona-Rebellen“. Welche Inhalte? Naja das Übliche.
Mit pathetischem Fahnenschwung und stolzgeschwollener Brust werden bei den Veranstaltungen deutsche Kriegsverbrechen relativiert oder geleugnet. Angesprochene Konfliktlinien führten ohne Umschweife in rassistische Hassspiralen. Statt in Gegenwart und Zukunft wird ein um’s andere Mal das Heil in der Vergangenheit gesucht: Deutsche Ahnen, deutsches Wissen und wild zusammengeklaubte Zitate dienen dabei als rhetorisches Geländer. Komplettiert wird das Orchester vom üblichen Geschwurbel der Hobby-Rechtstheoretiker*innen und -mediziner*innen, die sich in trautem Kreise dafür feiern lassen, den Fehler in der Matrix gefunden zu haben. Nicht zu vergessen: „dEuTsChLAnD dEN DeUtScHeN“ -geschnatter en masse, Todesstrafe JA, und so fort… Die bizarren Veranstaltungen kommen nicht um eine gewisse hypnotische Lächerlichkeit herum. Allerdings haben sie sehr reale Folgen: Diskursverschiebung, Desinformation und immer wieder auch Gewalt.
Ortswechsel. Landau. Seit einigen Tagen befindet sich auf dem Landauer Marktplatz das Menschenrechtscamp. Spontan aus einer Kundgebung nach dem Brand im Geflüchtetencamp Moria gegründet, bietet es Ort für Diskussion, Austausch und politische Aufmerksamkeit. Viele Bürger*innen beteiligen sich, stellen Fragen, machen Fotos und bringen Sofas, Decken, Essen und Kaffee, Bier. Wo nur möglich, hängen Transparente. Sie fordern die Evakuierung Morias, mahnen zu Menschlichkeit und Empathie. Die Idee: Raum einnehmen, um migrationspolitische Probleme und den europäischen Wertekatalog salient zu halten – kurz gesagt: Verdrängung verhindern, Hilfe anregen.
Doch hat die niederschwellige Aktion wohl auch Feinde. Ebenfalls am 12.09.2020, einige Stunden nach dem „Frauenbündnis“-Treff, pöbelten zwei Unbekannte (erwachsene Männer mittleren Alters) das Lager lautstark als „Lesben- und Schwulen“ -camp an und entzündeten eines der Transparente, bevor sie wegrannten. Auf dem Transparent steht in großen roten Lettern geschrieben: „evacuate Moria evacuate all camps“.
Die politische Motivation der Aktion steht außer Zweifel. Wer genau für den Angriff verantwortlich ist, ist unklar. Die Polizei ermittelt. Beim „Frauenbündnis“ dürfte man die Nachricht allerdings mit einem Lächeln quittiert haben, wolle man sich laut Telegram-Chat doch endlich gewisser Ängste entledigen und mutiger werden. Eine stadtbekannte Nationalradikale und Rechtsextremistin rief am gleichen Tag zu mehr „deutschem Denken“ bei den „Corona-Rebellen“ auf und dazu, sich bei ihnen miteinzustellen. Mit Erfolg. Wenige Tage später liefen die „Corona-Rebellen“ mit rechtsextremer Verstärkung vom „Frauenbündnis“ auf dem Landauer Markplatz auf (anschließendes gemeinsames Kaffeetrinken inklusive).
Diese neue Freundschaft ist keine Überraschung. Die Rhetoriken und Spielarten von Verschwörungsmythen beim „Frauenbündnis“ und bei den „Rebellen“ sind durchaus artverwandt. So halten sie beide solidarisches Handeln für nicht gerechtfertigt, denn Corona sei ja nur ein Vorwand. Aber für was eigentlich? Tja. Mit einem Flechtkorb voll Triggerwörter, gepickter Rosinen und blanken Unwahrheiten wird dann geschwurbelt, bis der sprichwörtliche Arzt kommt und Viren zu Bakterien erklärt werden, die Demokratie zur Diktatur umgedichtet, und natürlich alles vollkommen „ideologiefrei“ (=neurechts für „ideen- und orientierungslos“, Anm. d. Autors). Die individuelle Ausgestaltung solcher Mythen ist variabel. Manchmal seien es Schattenmächte in unscheinbaren Ministerien, beim Nächsten mögen es reudige „Maulkorbredakteur“*innen der „Lügenpresse“ oder eine panikmachende Verschwörung um Christian Drosten sein – Hauptsache ein Feind, der eine ubiquitäre Bedrohung darstellt, die unsere ach-so-friedlichen „Erwachten“ proklamieren können: böse, böse Geister. Gemeinsamer Tenor der Veranstaltung: Diffuse Paranoia, schräge Rufe nach „WaHrHeIt!!!“ und eine Selbstinszenierung als Opfer, sie sich für wirklich gar nichts zu schade ist. Außerdem: Corona sei nicht schlimmer, als eine Grippe und zugleich nicht-existent. Jedenfalls würden alle (Corona-ähm-Verantwortlichen?, Anm. d. Autors) „zur Rechenschaft gezogen“ werden, „wenn es soweit ist“ (frenetischer Jubel).
Kein Scheiß: Offene und verfassungsfeindliche Drohungen á la Attila „Avocadolf“ Hildmann wurden dort lautstark bejubelt. Es ist zum Kotzen, diese rechte Scheiße hier wiederkäuen und aufdröseln zu müssen. Aber es ist real. Darum müssen wir wachsam sein und jene unterstützen, die in dem Menschenrechtscamp auf dem Marktplatz (und anderswo!) ihre Zeit und Energie aufopfern, um uns allen in’s Bewusstsein zu rücken, was im Alltag schnell mal untergeht: Es gibt Lebensrealitäten vor Europas Grenzen und in Europa – auch in Deutschland! -, die mit unseren Werten unvereinbar sind (dieser Werte seien Menschenrechte, Frieden, Demokratie und Selbstbestimmung zu nennen) und dagegen muss etwas getan werden. Dringend. Und es gibt offen rechtsextreme Veranstaltungen, auch in Landau, die für das Camp und die Werte, für die es einsteht (unsere Werte), eine ernstzunehmende Bedrohung darstellen.
Davon wollen wir uns aber nicht abschrecken lassen, sondern uns gemeinsam den Werten widmen, die uns alle überdauern sollen. Von den Bürger*innen der Stadt wird das Camp sehr positiv aufgefasst und das freut. Im Verlauf der letzten Tage wurde ein gemeinsamer Wille zum Helfen deutlich: Die Hemmschwellen der Solidarität müssen manchmal eben etwas gesenkt werden. Dafür ist der Treffpunkt da. Und genau darum muss JETZT gehandelt werden: auf Bundesebene, und durch Europa. Moria muss evakuiert werden. Erst muss zuerst Leben geschützt werden, danach kann diskutiert werden. Das fordern die europäische Werte ein, das fordert jegliche Moral ein und das fordert eine empathische Gesellschaft auch von sich selbst ein. Auf dem Marktplatz. In Landau. Also schaut nicht weg, sondern helft bitte und zeigt, dass Landau ein #sichererHafen ist. 🙂
Anmerkung des Autors: Während den ersten Stunden nach Veröffentlichung ist der Kommentar mehrfach redigiert und abgeändert worden. Für diesen Fauxpais bitte ich um Nachsicht und Entschuldigung. 😉
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