Sie war ihr ganzes Leben auf der Flucht: Mascha Kaléko. Nur Berlin war ihr für ein paar Jahre Heimat. Über eine Dichterin, die den Glauben an Liebe und Wunder nie aufgab, die hoffte und doch selbst zu kämpfen hatte – und über ihre Lyrik zum alltäglichen Gebrauch.
„Alltagsbewältigung zur eigenen Lebensbewältigung – das war der Sinn ihres Schreibens“, schreibt die Schauspielerin und Rezitatorin Gisela Zoch-Westphal im Nachwort der Gedichtauswahl „Mein Leben geht weiter“ über Mascha Kaléko. Sie kannte die Dichterin in den letzten Jahren ihres Lebens und sie hatte recht: Zu bewältigen hatte sie einiges in ihrem Leben, mehrmalige Migration und persönliche Schicksalsschläge. Ihr half dabei meist das Dichten und ein feiner Humor.
Eine leuchtende Zeit in Berlin
Mascha Kaléko wurde am 7. Juni 1907 als Golda Malka Aufen in Schidlow, dem heute in Polen liegenden Chrzanów geboren. Sie war das Kind jüdischer Eltern, eine Herkunft, die sie bereits früh prägen sollte: Mit sieben Jahren musste sie mit ihrer Familie vor möglichen Pogromen nach Frankfurt am Main fliehen. Von dort zog die Familie bald nach Marburg und schließlich nach Berlin um. Hier sollte sie zunächst bleiben, Berlin sollte Kaléko und ihr Schaffen deutlich beeinflussen. Die Stadt war ihre Heimat, über die sie später schrieb: „Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not./ Hier kam mein Kind zur Welt. Und mußte fort./ Hier besuchten mich meine Freunde/ Und die Gestapo“ (Bleibtreu heißt die Straße).
Der erste Weltkrieg war vorüber, es brach eine kulturelle Blüte aus, deren Spektrum verschiedene (literarische) Epochen umfasste. In Berlin war das „Romanische Café“ Treffpunkt vieler Künstlerinnen und Künstler. Auch Kaléko lernte hier andere namhafte, zeitgenössische Autorinnen und Autoren kennen. Sie selbst – obgleich sie auch Nonsens-Gedichte verfasste – wird im Allgemeinen der „Neuen Sachlichkeit“ zugeordnet. Es verwundert nicht, wenn man liest, wie sie nüchtern das Zustandekommen eines romantischen Treffens beschreibt: „Man lernt sich irgendwo ganz flüchtig kennen/ Und gibt sich irgendwann ein Rendevous.“ (Großstadtliebe).
Sie selbst heiratete 1928 Saul Aaron Kaléko, welcher ihr – nachdem sie 1922 durch die nachgeholte Heirat der Eltern den Vornamen Mascha erhielt – zu ihrem Nachnamen verhalf. Ihr erstes Buch „Das lyrische Stenogrammheft“ erschien im Januar 1933 und wurde zu einem äußerst erfolgreichen Gedichtband. Aus heutiger Sicht erscheint es paradox: War sie doch Jüdin. Dieses Glück verließ sie 1935, als sie aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, ihr zweites Buch in der Druckerei beschlagnahmt wurde. Kaléko verließ Deutschland und das ihr zur Heimat gewordene Berlin erst 1938 mit ihrem zweiten Mann Chemjo Vinaver, dem Vater ihres Sohnes.
Entwurzelung und fremde Heimat
Ihr Mann, Musiker, gründete einen Chor, gab Konzerte, konnte jedoch kaum Englisch sprechen. Er war auf seine Frau angewiesen. Mascha Kaléko wies auf ihre und die Situation vieler Frauen im Bereich der Kultur in ihrer eigenen Dichtkunst hin: „Gerne schriebe ich weiter/ In dieser Manier,/ Doch muß ich, wie stets,/ Unterbrechen./ Mich ruft mein Gemahl./ Er wünscht, mir mir/ Sein nächstes Konzert/ Zu besprechen. [sic!]“ (Die Leistung der Frau in der Kultur). Nichtsdestotrotz schlug sich die junge Familie in der Emigration durch, 1944 erlangten sie die amerikanische Staatsbürgerschaft.
1945 erschien als einer der wenigen deutschsprachigen Gedichtbände in den USA „Verse für Zeitgenossen“. Doch das Geld blieb knapp – und es blieb die Heimatlosigkeit, die Entwurzelung. „Wenn ich ‚Heimweh‘ sage, sage ich ‚Traum‘./ Denn die alte Heimat gibt es kaum.“ (Heimweh, wonach? Herv. i. O.). Als sie nach dem Krieg nach Europa zurückkehrt, findet sie eine veränderte Welt vor, in der sie nicht zuhause ist: „Fremde sind wir nun im Heimatort.“ (ebd.).
Dennoch erlebt die Dichterin ein Comeback: 1956 wird ihr erstes Buch im Rowohlt-Verlag neu aufgelegt und gut besuchte Lesungen künden von Interesse an ihrem literarischen Schreiben. Es war ein Interesse, das auch prämiert werden sollte: Mascha Kaléko war 1959 der Fontanepreis der Akademie der Künste in Berlin zugesagt, welchen sie jedoch ablehnte. Der Grund hierfür war die ehemalige SS-Mitgliedschaft eines Jurymitglieds. Der kurze Ruhm war vorüber, man reagierte erbost auf ihre Ablehnung. Die Dichterin zog mit ihrem Mann nach Jerusalem.
Isolation – ernst, doch leicht
In Israel lebte sie isoliert, sie kannte weder die Sprache noch Menschen und sie fand keinen Anschluss. Es gab keine Vorträge ihrer Gedichte in dem noch jungen Staat. Stattdessen – man möchte es fast zyklische Flucht nennen – reist sie Jahr für Jahr nach Europa, trifft sich mit anderen Kulturschaffenden und befreundeten Menschen, liest einige Male aus ihrem Werk vor. Ein frühes Gedicht wirkt wie eine Vorausahnung auf ihr eigenes Leben: „In uns bleibt das ewig zage/ Fassen nach den bunten Scherben,/ Und im Schatten blasser Tage/ Leben wir, weil wir nicht sterben.“ (Blasse Tage).
Kalékos Leben sollte in ihren letzten Jahren weiter von Heimatlosigkeit geprägt bleiben. Hinzu kamen jedoch noch zwei Schicksalsschläge, die ihr schwer zusetzen: 1968 starb plötzlich ihr Sohn, 1973 folgte der Tod ihres Mannes Chemjo Vinaver. Sie selbst wurde todkrank, hoffte jedoch bis zuletzt: „Ich träume oft vom Leben, wie’s sein könnte,/ Wenn’s nicht so wäre, wie es nun mal ist“ (Chanson für eine Drehorgel). Sie beabsichtige zumindest zeitweise wieder in Berlin zu wohnen. Es war ihr nicht mehr vergönnt: Auf dem Weg zurück nach Jerusalem verstarb sie am 21. Januar 1975.
Heute wird die Dichterin meist in einer Reihe mit männlichen Autoren genannt und zuweilen mit ihnen verglichen. In Artikeln und Klappentexten findet sich häufig eine Zuordnung zur Gebrauchslyrik der Neuen Sachlichkeit von Erich Kästner, Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky. Kaléko hat jedoch ganz eigene literarische Qualitäten, welche nicht hinter männlichen Autoren zurücktreten müssen.
Raffiniert schlicht kombiniert sie Ernsthaftes mit einem legeren Ton: „Weil alles so vergeht, was dich einst freute/ Und was dir wehgetan: Trink deinen Wein!/ Was gestern morgen war, ist heute heute./ Was heute heute ist, wird morgen gestern sein./ Prägt euch das ein“ (Abermals ein Jubiläum). Es lohnt sich einen Blick in das Werk dieser außergewöhnlichen Frau zu werfen – sei es zum alltäglichen Gebrauch, in persönlichen oder gesellschaftlichen Krisenzeiten oder zur schlichten Erheiterung.
Die Serie „Schreibende Menschen“ möchte unterschiedlichste Menschen vorstellen, die Unterschiedlichstes auszudrücken versuchten oder versuchen. Gemeinsam ist ihnen dabei immer eines: Das Medium der Sprache. Es sollen Autorinnen und Autoren vorgestellt werden – lebende, tote, bekannte und weniger bekannte. Mal auf diese, mal auf jene Art und Weise.
Bildquelle: pixabay.com
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