Jeder hört es, in den Medien wird es immer wieder diskutiert: Schulen schließen, Schulen öffnen! Seit März 2020 ist „Homeschooling“ kein Fremdwort mehr, Schulen müssen sich immer wieder neuen Herausforderungen in der Corona-Pandemie stellen und Lehrkräfte unterrichten ihre Schüler zum größten Teil über Videotreffs mithilfe von Wochenstundenplänen. Wie geht es den Beteiligten dabei und wie meistert man so einen Alltag unter diesen Umständen? Dazu habe ich eine Lehrerin aus Rheinland-Pfalz zu ihren Erfahrungen befragt.
[LA-UNI]: Ich begrüße Sie herzlich zu unserem Interview. Zuerst einmal: Sie sind Lehrerin an einer Grundschule. Welche Klasse unterrichten Sie und wie viele Schüler sind in Ihrer Klasse?
[LEHRERIN]: Ich unterrichte eine Kombiklasse 1/2 mit insgesamt 15 Kindern.
Wie war denn die Umstellung von der Präsenzlehre in das Homeschooling? Waren Sie damit schon vertraut oder war es eine komplett neue Situation für Sie?
Im März 2020 war diese Situation komplett neu für mich und meine Kollegen/innen. Mittlerweile ist es für uns die dritte Phase, in der wir Homeschooling betreiben und nichts Neues mehr.
Gab/gibt es Unterstützung und Beratungen zur digitalen Lehre seitens der Schulleitung/des Bildungsministeriums?
Für die Schulleitungen war diese Situation anfangs genauso neu und herausfordernd, wie für uns Lehrer/innen. Die Unterstützung für die Schulleitungen und Kollegien seitens des Ministeriums in Bezug auf das digitale Lehren und Lernen hält sich meiner bisherigen Erfahrung nach in Grenzen. Wir haben verschiedene Wege ausprobiert und in Rücksprache mit den Eltern verändert, angepasst und verbessert. Frei nach dem Motto „learning by doing“…
Gibt es unter euch Kollegen einen Austausch und gegenseitige Unterstützung?
Ja, absolut. Wir profitieren sehr vom gegenseitigen Austausch und der Unterstützung innerhalb des Kollegiums, aber auch vom Erfahrungsaustausch mit anderen Schulen. Jede Schule erprobt ja ihre eigenen Konzepte; die Schulleitungen müssen sich an gewisse Vorgaben des Ministeriums halten, aber wie diese dann am besten umgesetzt werden können, muss individuell ausgearbeitet werden. Dabei hilft der Erfahrungsaustausch enorm.
Wie ist aktuell ein typischer Arbeitstag für Sie: Erteilen Sie Fernunterricht, Wechselunterricht oder sind Sie in der Notbetreuung aktiv?
Ich erteile an vier Tagen pro Woche Fernunterricht und bin an drei Tagen zusätzlich in der Notbetreuung. Wechselunterricht findet bei uns im Kreis derzeit noch nicht statt.
Der Tag startet mit dem Onlineunterricht. Im Anschluss daran stehe ich den Kindern und Eltern für Fragen zur Verfügung. Wenn ich in der Notbetreuung bin, gehe ich nach dem Onlineunterricht in den Betreuungsraum, um meine Kollegin dort abzulösen. Nachmittags geht es dann weiter mit der Planung des nächsten Tages. Insgesamt habe ich ein um einiges größeres Arbeitspensum als zuvor, daher finde ich es sehr frustrierend, dass teilweise die Meinung herrscht, Lehrer hätten bei Schulschließungen mehr oder weniger frei…
Das kann ich verstehen, man sollte Vorurteile gegenüber der Arbeitslast keineswegs äußern – zumal dies ja immer sehr individuell, von Person zu Person verschieden ist. Die realen Begebenheiten kann man bei Ihnen jedenfalls sehr gut nachvollziehen. Wie kann man sich außerdem einen Fernunterricht in der Grundschule vorstellen?
Ich bespreche mit den Kindern jeden Tag ihre Aufgaben über BigBlueButton (außer am Abgabe- und Korrekturtag, denn an diesem findet kein Onlineunterricht statt). Das hat den Vorteil, dass ich auch recht gut neue Inhalte einführen und direkt auf Fragen eingehen kann. Am Vorabend stelle ich online, welches Material am nächsten Tag bereit liegen muss. Der eigentliche Tagesplan wird dann gemeinsam erörtert und meist nochmal schriftlich an die Eltern weitergegeben. Einmal wöchentlich geben die Kinder ihre Materialien zur Korrektur ab und erhalten ihr Materialpaket für die kommende Woche. Zusätzlich versuche ich, Onlineübungen und Lernvideos zur Unterstützung bereit zu stellen.
Das klingt nach einer langen To-do-Liste! Was machen Sie als Ausgleich?
Ich versuche, mir Zeiten ohne Laptop und Smartphone zu verordnen. Wie viele andere Schulen auch, nutzen wir zur Kommunikation mit den Eltern die App „Sdui“. Das hat natürlich auch den Nachteil, dass man theoretisch rund um die Uhr kontaktiert werden kann. Außerdem gibt es gefühlt mehrmals täglich neue Infos/Artikel/Berichte und Gerüchte in Bezug auf die Schulöffnung, neue Regelungen… wenn man da ständig „up to date“ bleiben möchte und sofort alles nachliest, wird das auf Dauer sehr anstrengend.
Und was würden Sie nach jetzigen Erfahrungen einer Kollegin sagen oder als Tipp mitgeben, die zum ersten Mal Fernunterricht erteilen müsste?
Ich würde ihr raten, sich bewährte Konzepte von Kollegen abzuschauen und darauf zu vertrauen, dass weniger manchmal mehr sein kann. Es muss nicht jedes Mal im Onlineunterricht eine interaktive PDF oder PowerPoint-Präsentation gezeigt werden. Die Kinder freuen sich auch einfach unheimlich, die anderen Kinder und die Lehrerin zu sehen und sich auch einfach mal in einer Erzählrunde austauschen zu können. Ganz wichtig finde ich auch, bei den Kindern, Eltern und letztendlich auch bei sich selbst, so gut es geht den Druck/Stress herauszunehmen. Denn davon haben alle mehr als genug!
Das waren nun einige Fragen zu Ihnen und der Schule selbst. Jetzt möchte ich auch etwas über die Menschen erfahren, mit denen Sie täglich interagieren: die Schüler und deren Eltern.
Wie häufig tauschen Sie sich mit den Eltern der Schulkinder aus?
Beinahe täglich. Die allermeisten Eltern sitzen während dem Onlineunterricht neben ihrem Kind und sprechen mich dann oft direkt an, wenn es Fragen gibt. Außerdem kommuniziere ich mit den Eltern über „Sdui“ und gebe dort auch Rückmeldungen.
Empfinden Sie, dass die Kinder mit dem Fernunterricht zurechtkommen? Sind sie motivierter oder unmotivierter als vorher?
Generell kommen meine Schülerinnen und Schüler gut mit der Situation zurecht. Allerdings würden sie sich alle wünschen, wieder zur Schule kommen zu können. Als der geplante Start des Wechselunterrichts kurzfristig verschoben wurde, waren sie schon furchtbar traurig und darunter leidet bei manchen mittlerweile auch die Motivation. Inzwischen wurde der Start dreimal verschoben…
Ich denke, man kann die Situation der Schüler sehr gut nachempfinden. Haben Sie ein Beispiel, wie ein Schüler/eine Schülerin seinen/ihren Schulalltag im Homeschooling meistert? Mich würde interessieren, ob der/die Schüler/in trotzdem noch eine Struktur im Alltag hat?
Eine gewisse Struktur haben die Kinder durch den morgendlichen Onlineunterricht ja vorgegeben. Die meisten Kinder möchten auch morgens direkt mit den Aufgaben starten, um dann am Mittag mit allem fertig zu sein. Diese Strukturierung im Tagesablauf ist auch sehr wichtig, finde ich.
Definitiv. Erkennen Sie bei manchen Schülern schon jetzt Defizite, die durch die Schulschließung entweder begünstigt oder sogar verursacht worden sind?
Bei Kindern, die Vieles alleine zuhause bewältigen müssen und die vielleicht auch vorher schon Probleme hatten, sind natürlich Defizite zu beobachten. Da fehlt dann einfach die Unterstützung.
Können Sie auch ein, zwei Vor- und Nachteile für die Kinder in der Fernlehre nennen?
Manche Kinder profitieren sehr davon, dass die Eltern zuhause eine Eins-zu-Eins Betreuung beim Lernen bieten, was wir in der Schule sonst nicht leisten können.
Die Nachteile liegen ganz klar bei den fehlenden sozialen Kontakten der Kinder untereinander und auch mit den Lehrern.
Geben Sie Eltern Tipps für ein gelingendes Homeschooling mit?
Bei Bedarf natürlich. Aber inzwischen sind die Eltern da recht gut eingespielt.
Fernab von Ihnen: Gibt es auch Schulungen für Eltern in einer solchen Situation?
Da ist mir nichts bekannt.
Wie schätzen Sie die Schulsituation im Gesamten für die Zukunft ein? Wäre es denkbar, dass man durch die Ausnahmesituation auch günstige Erfahrungen und Unterrichtsmethoden weiterhin beibehalten könnte?
Wünschenswert wäre, dass sich an den Rahmenbedingen etwas ändert. Die Pandemie hat ganz klar offenbart, dass wir in der Grundschule noch weit von der Digitalisierung entfernt sind. Wir arbeiten beispielsweise alle mit unseren privaten Endgeräten. Außerdem braucht es mehr Personal, um auch solche Ausnahmesituationen zufriedenstellend bewältigen und ausgleichen zu können.
Ich persönlich habe mir in den vergangenen Monaten selbst einiges im Bereich der Medienkompetenz angeeignet, was ich im Regelunterricht auch weiterhin gerne nutzen würde. Oft fehlt es dazu dann in der Praxis aber an technischer Ausstattung.
Dieses Interview wurde schriftlich und anonym in Absprache mit der interviewten Person durchgeführt. Die La-Uni bedankt sich sehr für die Zeit und wünscht der Lehrerin und ihrer Schule weiterhin noch alles Gute!
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