Der erste Teil einer Beitragsreihe zu Corona & den Folgen
Wir alle haben die Nase voll von der Corona-Pandemie. Ausgangsbeschränkungen, wenig soziale Kontakte und Online-Lehre … die meisten Studenten (und auch Lehrenden) sind genervt und wünschen sich ihre Normalität zurück. Belastend ist die Situation natürlich für Leute, die Corona-Erkrankte kennen oder Betroffene, die teilweise noch lange mit Spätfolgen (auch „Long Covid“, „Post Covid“ oder „Chronic covid syndrom“ genannt) zu kämpfen haben.
Zu diesen Spätfolgen gehört auch ein gestörter Geruchssinn. Schon während der Erkrankung kann der Geruchssinn von Corona-Betroffenen geschwächt sein (bis zu über 80% der Betroffenen berichten in Studien von Geruchsstörungen). Hier kommt es entweder zu einem teilweise abgeschwächten oder totalen Verlust des Geruchssinns. Mittlerweile zeigt sich aber, dass Folgen wie der Geruchsverlust oft längerfristig andauern (auch wenn hier die Wirkung von Impfungen Hoffnung macht).
Der Verlust des Geruchssinns war anfangs ein gutes Indiz, um eine Grippe von einer Infektion mit Corona zu unterscheiden. Vor allem weil Geruchsprobleme oftmals vor anderen Symptomen eintreten. Erstmal etwas Gutes, oder? Endlich gab es ein Kriterium mit dem man Corona ziemlich sicher feststellen konnte!
In ihrem Podcast vom NDR schlägt die Virologin Sandra Ciesek auch u.a. Riechtests vor, für eine schnellere Erkennung von Corona-Erkrankungen. Eine andauernde Störung des Geruchssinns ist natürlich aber ein Problem. Ich kann diese Probleme gut nachvollziehen: Bei einem Unfall vor ca. drei Jahren habe ich durch ein Schädel-Hirn-Trauma meinen Geruchssinn verloren und seitdem nicht wieder bekommen.
Da das Schädel-Hirn-Trauma nicht meine einzige Verletzung war und ich auch eine Zeit lang im Krankenhaus lag (und dadurch anfangs andere Sorgen hatte), habe ich zu Beginn gar nicht bemerkt, dass etwas fehlte. Ich beschwerte mich höchstens über das eklige Krankenhaus-Essen, das nach „nichts“ schmeckte. Erst nach einigen Wochen fiel mir auf – als ich mir ein Putzmittel unter die Nase hielt – dass ich keinen Geruch vernehmen konnte …
Nach Terminen beim HNO-Arzt und einem Neurologen mit CT/MRT und EEG, wurde ich dann in eine Spezial-Klinik geschickt, zum „offiziellen“ Feststellen einer sogenannten Anosmie (= Fehlen oder Verlust des Geruchssinns) mit einer MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 15%.
Manche fragen sich jetzt vielleicht, was an einer Anosmie denn so schlimm ist, immerhin riecht man den Gestank der Mitmenschen in der vollen Bahn nicht mehr und der gestörte Geschmackssinn ist eine perfekte Diat!
Der Geruchssinn wird von Vielen bei Befragungen gerne an die letzte Stelle der Sinne gestellt. Ein Leben ohne funktionierende Augen oder Musik – schrecklich! Wenn die Nase nicht mehr funktioniert (oder um genauer zu sein: wenn wie bei mir, die Geruchsfäden wahrscheinlich gerissen sind), dann „riecht man immerhin nicht mehr, wenn es stinkt!“. Das mag zwar stimmen, jedoch hat auch ein fehlender Geruchssinn Auswirkungen, die ich euch in diesem Artikel zeigen möchte:
Immer der Nase nach
Die anfänglich größte Schwierigkeit ohne Geruchssinn war (und ist) für mich, dass man seinen eigenen Körpergeruch nicht mehr wahrnimmt. Die Frage, ob ich wohl stinke, stelle ich mir eigentlich mindestens 1x die Woche (im Sommer aufgrund des Schwitzens gerne täglich).
Nicht geduscht aus dem Haus gehen und wenn es nur zum Müll wegbringen ist? Bestimmt nicht!
Auch Umarmungen (vor allem nach langen, anstrengenden Tagen) sind mir manchmal unangenehm: Denn was wenn ich stinke? Das Gefühl kommt blöderweise zum Teil mitten am Tag auf (ohne wirklichen Anlass). An einem Acht-Stunden-Uni-Tag nach 2 Stunden das Gefühl zu haben, dass man eventuell strenger riechen könnte, ist unangenehm, wenn man dann noch weitere 6 Stunden bleiben muss.
Viele Menschen mit Anosmie duschen häufiger als davor oder nutzen mehr Deo/Parfüm. Zum Glück wusste ich, welche Deo-Sorten ich mag, sonst wäre der Einkauf schwer geworden. Generell gehe ich Deos oft mit Freunden kaufen, damit sie „meine Nase“ sein können.
Natürlich sorgen solche Sachen auch für lustige Geschichten über die man später lachen kann, wenn man mit Hundekot am Schuh im Wartezimmer sitzt zum Beispiel – aber in anderen Bereichen schränkt der fehlende Geruchssinn sehr ein. Ein Grund der bei mir auf der „Contra“-Seite für das Einziehen in eine WG steht? Dass ich nicht wüsste, wann ich stinke.
Öl ins Feuer gießen
Hier sei voran angemerkt, dass ich als Kind eine starke Feuerangst hatte und deshalb eventuell etwas empfindlicher bin bei diesem Thema, jedoch ist meine frühere Angst vor Feuer durch den fehlenden Geruchssinn und das zeitweise Wohnen in einem fünften Stock unter Stress wieder aufgeflammt.
Feuer, Gas, verdorbene Lebensmittel … all das riecht man nicht mehr.
Menschen mit Anosmie bekommen häufiger Lebensmittelvergiftungen und auch ich werfe Sachen eher weg, als zu riskieren, dass Nahrung nicht mehr gut ist. Gerne würde ich seltener einkaufen gehen, jedoch traue ich ganz frischen Lebensmitteln einfach mehr. Das Essen allgemein macht mit Anosmie Probleme, da der Geschmackssinn stark mit dem Geruchssinn zusammenhängt …
„Das Auge isst mit!“
Dieser Spruch bekommt mit einer Anosmie noch mal eine ganz andere Bedeutung!
Vor meinen Unfall war ich normalgewichtig. Seit dem Verlust meiner Riechfähigkeit habe ich teilweise mit Untergewicht zu kämpfen.
Zu Beginn hatte ich Geruchs-/Geschmacksstörungen durch die ich immer einen bestimmten ekligen Geruch/Geschmack in der Nase/im Mund hatte. Zu dieser Zeit widerte Essen mich an. Manche Betroffenen haben dieses Problem dauerhaft. Im Vergleich dazu bin ich froh, dass ich nichts rieche, abgesehen von selten auftretenden Phantomgerüchen, zum Beispiel ein plötzlich starker Geruch nach Kaffee mitten auf der Straße.
Fakt ist: ohne Geruch auch sehr wenig Geschmack und daran wird man täglich erinnert.
Auf unserer Zunge liegen nur die Geschmacksknospen für süß, sauer, salzig, bitter und umami – die Nuance macht die Nase aus (und damit macht der Geruch bis zu 80% des Geschmacks aus!).
Anfänglich war es am Schlimmsten: Ich habe manchmal den ganzen Tag vergessen zu Essen. Es stellte sich einfach kein Hungergefühl ein. Mittlerweile halte ich mich an strikte Essenspläne (oder versuche es), um nicht wieder ins Untergewicht zu rutschen. Nicht nur, dass man das Essen überhaupt vergisst, auch die üblichen Mengen schaffe ich nicht mehr und so landet leider einiges im Müll oder beim Food-Saving.
Eine kleine Sucht nach Cola haben interessanterweise auch andere Leute, deren Geruchssinn nicht mehr richtig funktioniert, entwickelt – es prickelt, ist spritzig, schmeckt aber eben nicht nur nach Wasser … Konsistenz, Temperaturunterschiede zwischen verschiedenen Lebensmitteln in einem Gericht, starke Gewürze: das alles macht jetzt für mich ein Gericht „lecker“.
Abgesehen vom rein geschmacklichen Aspekt, macht auch das Kochen sehr viel weniger Spaß, wenn die „Belohnung“ fehlt. Ich habe vor dem Unfall sehr gerne gekocht und neue Rezepte und Ideen ausprobiert. Das versuche ich weiterhin beizubehalten, aber leicht war es anfangs nicht.
Das Problem bleibt: aus einem Kochen aus Spaß und Freude am Genuss – wurde vor allem in der Zeit kurz nach dem Unfall eine „Pflicht“.
Zum Glück macht mir auch einfach das Schnippeln und Schneiden Spaß, sonst würde ich mich wahrscheinlich nur noch von Fertigkost ernähren.
Anosmie, Hyperosmie …
Es gibt einige Foren/Gruppen für Leute mit Problemen beim Riechen. Neben der Anosmie liegt hier der Fokus auch auf der Hyperosmie (ein überempfindlicher Geruchssinn) und anderen Riechstörungen. Seit Corona treten u.a. auf Facebook mehr Betroffene mit Langzeit-Folgen durch den Virus in Gruppen bei. Mittlerweile werden solche Gruppen auch getrennt: Geruchsverlust durch Corona & Geruchsverlust durch andere Ursachen. In solchen Gruppen erfolgt ein Austausch über Riechtrainings mit ätherischen Ölen, Behandlungsmöglichkeiten z.B. mit Cortison oder Spezial-Kliniken und Ärzte, die sich auf Riechstörungen fokussiert haben. Die Hoffnung, dass durch Corona jetzt endlich mehr zum Thema geforscht wird, ist groß. Der Austausch über Gefühle und Gedanken hilft sehr.
Ein Gefühl der „Leere“ und von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, verbindet am Anfang oft Leute, die nach einem Unfall oder einer Erkrankung ihren Geruchssinn verlieren.
Manche beschreiben es auch, als das Gefühl an einem Filmset zu sein; dass ihre Umgebung fremd wirkt. Diese Gefühle kenne ich, es ist schwer, sie zu beschreiben.
Eine Studie vom bekannten Arzt und Professor Dr. med. Hummel, der unter anderem Riechtrainings für Leute mit Geruchsproblemen entwickelt, ergab, dass Leute ohne Geruchssinn eine abgestumpfte emotionale Reaktion bei der Darstellung von Bildern zeigten.
Dass Anosmiker eine erhöhte Anfälligkeit für Depressionen haben, sollte nicht überraschen.
Diese Folgen treten meistens bei Leuten auf, die plötzlich ihren Geruchssinn verlieren.
Für so einen plötzlichen Geruchsverlust gibt es unterschiedliche Ursachen: neben Viruserkrankungen wie COVID-19 auch Unfälle, Schädel-Hirn-Traumata, starke Erkältungen …
Bei einigen ist die Anosmie angeboren und wird zum Teil erst spät entdeckt: zum Beispiel in der Schule im Chemie-Unterricht.
Wenn die Chemie stimmt…
Der Geruch spielt auch bei unseren sozialen Beziehungen eine Rolle. Die häufige Angst zu stinken kommt u.a. dadurch, dass wir Fremde selten auf ihren eigenen Geruch aufmerksam machen. Blinde Menschen erkennt man oft an einem Gehstock/Blindenhund etc., auch dass jemand taub ist, bekommt man im Kontakt schnell mit, aber die Anosmie wird oft als eine „unsichtbare“ Behinderung bezeichnet. Das Problem kann sich auf zwei unterschiedliche Weisen ausdrücken: entweder man stinkt/schwitzt/ist in was Stinkendes getreten etc. oder aus Angst vor genau diesen Sachen, trägt man viel zu viel Deo/Parfüm auf, was auch unangenehm ist. Stinkt eine Person, dann finden wir dies meistens „unhygienisch“, aber aus Höflichkeit kommentiert man den Geruch nicht. Meine Freunde wissen, dass sie mich darauf hinweisen sollen, sollte ich mal strenger riechen. Beispielsweise aber in einem beruflichen Umfeld wissen Personen wahrscheinlich gar nicht von meiner Anosmie.
Durch das „Unsichtbare“ vergessen manchmal meine Familienmitglieder oder Freunde, dass ich nicht mehr riechen kann.
Aber auch mir ist meine Anosmie nicht dauernd bewusst: Ich erwische mich ab und zu mal dabei, wie ich an Blumen schnuppern will, bis mir einfällt, dass dies ja nicht mehr geht. Darüber bin ich aber ganz froh: Ich habe es noch nicht 100% realisiert, dass der Geruchssinn sehr wahrscheinlich nie wieder kommt (so die pessimistische Prognose eines Arztes).
Anosmie wird jedoch unterschätzt – aufgrund des Alters, Demenz, Parkinson und anderen Erkrankungen, sind vor allem ältere Menschen oft von Problemen mit dem Geruchssinn betroffen. Aber wie bei mir oder z.B. Corona-Erkrankten können auch jüngere Menschen Geruchsstörungen bekommen. Das Treffen mit Freunden zu einem Restaurant-Besuch, Grillpartys oder auch gemeinsame Koch-Abende leiden darunter.
Am Ende kann ich sagen, dass ich den Wert des Geruchssinns echt unterschätzt habe – vor allem die Relevanz für den Geschmack. Mittlerweile vergesse ich wie Sachen gerochen oder geschmeckt haben. Und auch wenn ich meistens ganz gut klar komme und froh sein kann, dass die anderen Sinnesorgane noch funktionieren, vermisse ich den Duft nach frischem Gras im Feld, der Geruch von Häfen, eines Bauernhofes oder auch die Düfte eines Weihnachtmarktes.
Es hat aber auch seine Vorteile: den Gestank von Bahnhofs-Klos oder Müll bekomme ich nicht mehr mit.
Viele Betroffene würden sich jedoch einen etwas sensibleren Umgang mit dem Thema wünschen, der über „Immerhin riechst du den Gestank nicht!“ hinausgeht.
Der Geruchssinn wird schon so in der Forschung oder von Philosophen (Platon und auch andere Philosophen waren der Meinung, dass der Geruchssinn zu den „niedrigeren Sinnen“ gehört … „denn es giebt mehr Gegenstände des Ekels, als der Annehmlichkeit, die er verschaffen kann“) wenig beachtet. Hoffentlich ändert sich das durch Corona endlich!
Wie drückten Linkin Park es einst in ihrem Song „Until it´s Gone“ schön aus?
→ „You don‘t know what you‘ve got until it‘s gone.“
Deshalb einmal tief einatmen und den Geruch um euch genießen – auch wenn es nur das angebrannte Essen in der Pfanne ist. Guten Appetit!
Quellen:
https://bnn.de/karlsruhe/corona-covid-geschmacksverlust-geruchssinn-mund-dauer-schmecken (Abrufdatum 24.02.2021 um 13 Uhr)
https://flexikon-mobilde.doccheck.com/de/Anosmie (Abrufdatum 24.02.2021 um 12:40 Uhr)
(21.03.2021 um 15:52 Uhr)
https://www.welt.de/gesundheit/article112647639/Demenz-kuendigt-sich-mit-Riechstoerungen-an.html (21.03.2021 um 17:29 Uhr)
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2000/daz-37-2000/uid-7211 (21.03.2021 um 17:36 Uhr)
(21.03.2021 um 17:57 Uhr)
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/riechstoerungen-unterschaetzte-nasen-1.1567424
(21.03.2021 um 18:06 Uhr)
NDR Corona-Podcast Folge 69: Das Virus macht keine Geschenke
Zitiert: „Until it´s gone“ von Linkin Park
Studien:
GCCR Group Author (2020). More than smell – COVID-19 is associated with severe impairment of smell, taste, and chemesthesis. Chemical senses. https://doi.org/10.1093/chemse/bjaa041
Chiesa‐Estomba, C.M., Lechien, J.R., Radulesco, T., Michel, J., Sowerby, L.J., Hopkins, C. and Saussez, S. (2020), Patterns of smell recovery in 751 patients affected by the COVID‐19 outbreak. Eur J Neurol, 27: 2318-2321. https://doi.org/10.1111/ene.14440
Lechien, J.R., Chiesa-Estomba, C.M., De Siati, D.R. et al. Olfactory and gustatory dysfunctions as a clinical presentation of mild-to-moderate forms of the coronavirus disease (COVID-19): a multicenter European study. Eur Arch Otorhinolaryngol 277, 2251–2261 (2020). https://doi.org/10.1007/s00405-020-05965-1
Larremore, Daniel & Toomre, Derek & Parkter, Roy. (2020). Modeling the effectivness of olfactory testing to limit SARS-2-CoV transmission. 10.1101/2020.11.30.20241174.
Hopkins, Claire & Surda, Pavol & Whitehead, Emily & Kumar, Bn. (2020). Early recovery following new onset anosmia during the COVID-19 pandemic – An observational cohort study. Journal of Otolaryngology – Head & Neck Surgery. 49. 10.1186/s40463-020-00423-8.
Gibbs DM. Early Awareness of Alzheimer Disease: A Neurologist’s Personal Perspective. JAMA Neurol. 2019;76(3):249. doi:10.1001/jamaneurol.2018.4910
Han, P., Hummel, T., Raue, C., & Croy, I. (2019). Olfactory loss is associated with reduced hippocampal activation in response to emotional pictures. NeuroImage, 188, 84–91. https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2018.12.004
Bildquelle: pixabay.com
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