Wer erinnert sich noch an die Abende, an denen man von Christopher Robin, Winnie Pooh und seinen Freunden vorgelesen bekommen hat? Doch der kleine, hungrige Bär, der viel fragt und wenig weiß, scheint auch für Erwachsene noch von Bedeutung zu sein. Denn trotz seiner trotteligen Tollpatschigkeit strotzt er nur so vor Zufriedenheit und jedes seiner Probleme scheint sich auf natürliche Weise wieder aufzulösen. Dass hinter Winnie Poohs Art eine ganze Philosophie steckt,
beschreibt Benjamin Hoff in seinem 1982 erschienenen Buch „The Tao of Pooh“.
Paris vor ein paar Monaten: Ich laufe mit meinem Bruder durch den weltbekannten Buchladen „Shakespeare and Company“, als ich das kleine blaue Buch mit der goldenen Zeichnung entdecke und sofort interessiert bin. Vor mir liegt eine Neuauflage des Buches von Benjamin Hoff zum 40. Geburtstag seiner Erscheinung. Hoff beabsichtigte mit seiner Veröffentlichung von „The Tao of Pooh“ das östliche Glaubenssystem bzw. die Philosophie des Taoismus dem Westen näherzubringen, was ihm wohl auch gelungen zu sein scheint, schließlich hielt es sich 49 Wochen auf der New York Times Bestseller-Liste. Etwas später schrieb der Autor als Begleitung dann noch das Buch „The Tao of Piglet“, welches von dem kleinen ängstlichen Freund Winnie Poohs berichtet.
Doch was hat die westliche Geschichte, um den gelben Bären mit dem roten Shirt von E.H. Shephard nun eigentlich mit der Lehre des Taoismus zu tun? Um das zu verstehen, müssen wir zunächst in die Grundlagen eintauchen: Der Taoismus hat seinen Ursprung in China und kann dort sowohl als Philosophie, als auch als Religion angesehen werden. Begründer des Taoismus soll Laotse sein, von dessen Hand das Hauptwerk des Taoismus, das sogenannte Tao Te Ching, verfasst wurde. Zitate von ihm wie: „Wenn ich loslasse, was ich bin, werde ich, was ich sein könnte. Wenn ich loslasse, was ich habe, bekomme ich, was ich brauche“, beschreiben nicht nur seine Weltsicht, sondern sind auch im Westen nicht unbekannt. Und apropos nicht unbekannt: Die meisten von uns dürfen auch um den Fashion-Trend um einen ganz bestimmten verschlungenen schwarz-weißen Kreis nicht herumgekommen sein, den man ab 2020 so ziemlich überall sehen konnte. Yin und Yang repräsentieren das dualistische Prinzip des Taoismus, zwei unterschiedliche Kräfte, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen und miteinander im Einklang stehen.
Der Taoismus beschreibt einen speziellen Weg das Leben zu schätzen, von ihm zu lernen und mit dem zu arbeiten, was eben kommt und passiert. Das natürliche Ergebnis daraus soll eine harmonische Lebensweise und Fröhlichkeit sein. Und wer könnte auf diese Beschreibung einer Art zu leben besser passen als der kleine, zufriedene Bär aus dem Hundert-Morgen-Wald? Hoff beschreibt in seinem Buch, dass viel zu wissen nicht unbedingt Weisheit bedeutet und stattdessen aus der Einfältigkeit einfach zu tun und zu Sein das Lebensglück entsteht. Anders als sein Freund Rabbit scheint Pooh diese Art zu leben ganz natürlich in sich zu tragen. Der Hase dagegen möchte alles wissen, bestimmen und scheint dabei zu beschäftigt zu sein, um den Tag zu genießen … oder in Winnie Poohs Worten gesagt: „Rabbit has a brain thats why he never understands anything“. Es „wie Pooh“ zu tun bedeutet: Nicht gegen die Natur der Dinge zu handeln. Einfach zu tun, ohne aufdringliche, egoistische Anstrengung, auf die eigene Intuition, den Verlauf der Dinge und an das Gute zu glauben. Dafür braucht man nicht viel zu wissen, viel zu können oder viel zu lernen, denn „to the taoist nothing is something and something is really nothing at all“. Diesem Gedanken folgend kann das Kinderbuch nicht nur den Jüngeren unter uns Freude bereiten, sondern in seiner Essenz vielleicht auch den Erwachsenen ein Stück Weisheit mitgeben. Zum Beispiel, dass nicht alles in der Uni gelernt werden kann und Lernen nicht alles ist. Und dass das Einfache, Intuitive und Vertrauensvolle manchmal der Weg sein kann, der zum Ziel führt, … oder zumindest zu ein bisschen mehr Zufriedenheit.
Von Marlene Kunath
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