Die Geschichten hinter unseren Straßen

Foto: Nicole Grimm
Foto: Nicole Grimm

Es ist 9:48 Uhr. Ich war an der Uni und hatte bereits meine erste Vorlesung hinter mich gebracht. Für meinen nächsten Termin musste ich mich beeilen, denn das Seminar fand in einer der Außenstellen der Universität statt – genauer gesagt in der Thomas-Nast-Straße. Also begann ich meinen Weg über die Treppen der Uni, gefolgt von den Blicken der riesigen Vögel über mir, die Fortstraße entlang über die Hindenburgstraße, rechts in die Zeppelinstraße, um dann in die Ferdinand-Koch-Straße abzubiegen. Jetzt hatte ich nur noch einen langen Weg geradeaus vor mir, bis ich schließlich an mein Ziel gelangen würde: Die Thomas-Nast-Straße. Und während ich so vor mich hin spazierte, fragte ich mich, wer diese Menschen eigentlich sind, die unsere Straßennamen zieren und warum genau sie dort verewigt wurden? Ganz so selbstverständlich sind Straßennamen, die nach einem Menschen benannt wurden, nämlich nicht: Feststehende Namen für Stadtstraßen entstanden etwa zwischen dem 11.-13. Jahrhundert. Im Mittelalter wurden Straßen aber nicht nach berühmten Persönlichkeiten, sondern nach der Bevölkerungsschicht oder dem vorrangigen Handwerk in dieser Straße benannt. So kamen Namen wie Schustergasse, Burgstraße oder Krämergasse zustande. Noch bis ins 18. Jahrhundert waren Benennungen nach Personen, wie wir sie heute oft antreffen, selten. Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 fanden sich zunehmend mehr Personen, beispielsweise Adelsgeschlechter, auf Straßenschildern. Später dann wurde die (Um-) Benennung neuer und alter Straßen deutlich politischer: Am Anfang der Weimarer Republik wechselte man viele Straßennamen, die mit dem Kaiserreich in Verbindung gebracht wurden durch Benennungen aus, die die Demokratie symbolisieren sollten. So entstanden Straßen wie die Friedrich-Ebert-Straße oder der Rosa-Luxemburg-Platz. Weiter ging es dann mit der Zeit des Nationalsozialismus. Zwecks Propaganda wurden viele Straßen nach lebenden NS-Persönlichkeiten benannt oder umbenannt. Um ihre Macht zu demonstrieren, wechselten viele Straßen ihre Namen von jüdischen oder demokratischen Repräsentanten zu Personen mit direktem Bezug zum Nationalsozialismus. Eine Walther-Rathenau-Straße musste so beispielsweise der Horst-Wessel-Straße weichen. Diese Vorgänge wirken bis heute nach. So ist es in westlichen Demokratien nach 1954 beispielsweise üblich, Straßen grundsätzlich nicht mehr nach noch lebenden Personen zu benennen, da damit dem Personenkult, der eine Diktatur oft maßgeblich ausmacht, keine weitere Fläche geboten werden soll. Nach dem 2. Weltkrieg blieb die Benennung von Straßen nach Menschen erstmal weitgehend aus. Viele Straßen mit Nationalsozialistischem Bezug erhielten wieder ihre vorherigen Namen oder wurden gänzlich umbenannt. Auch spiegelte sich das Träumen einer heileren Welt in Straßennamen wie „an der Paradieswiese“ wider. Ab 1970 dann fand eine vermehrte Aufarbeitung der Geschichte des 2. Weltkrieges statt. Straßen wurden nach Opfern der Gewaltverbrechen dieser Zeit und Gegnern des NS benannt.

Die letzten Jahre brachten verstärkt Aufmerksamkeit auf die Benennung von Straßennamen nach Frauen, da diese bis heute gegenüber Männern in der Unterzahl sind. In Deutschland beispielsweise sind über 80 Prozent aller Straßen mit Namen nach Männern benannt. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der Bezirk Friedrichhain-Kreuzberg in Berlin: Dort dürfen Straßen seit einigen Jahren nur noch nach Frauen benannt werden. Und auch insgesamt zielt die Hauptstadt darauf ab, mehr Frauennamen in ihr Straßenkonzept zu integrieren – von einem Gleichstand ist jedoch auch sie noch weit entfernt.

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Doch warum ist uns die Benennung des grauen Betons überhaupt so wichtig? Straßennamen sind Erinnerungen: an vergangene Zeiten, Menschen und Taten. Sie spiegeln die Kulturen, Hoffnungen und Einstellungen der Menschen wider. Besonders der Benennung von Straßen nach Personen lag und liegt ein immerwährender Wandel, geprägt von politischen und historischen Ereignissen, zugrunde. Auch Landau ist davon nicht losgelöst. Neben einer Grundschule, einem Verein und einem Nikolausmarkt ist natürlich auch eine Straße nach einem berühmten Landauer Karikaturisten benannt, dessen Cartoons nicht nur ein Land beeinflussten. Thomas Nast wurde 1840 in Landau geboren und ist im Alter von 6 Jahren mit seiner Familie in die USA ausgewandert. Schon in jungen Jahren fiel sein Zeichentalent auf. Als Erwachsener dann, setzte sich Nast immer wieder durch die Veröffentlichung eigener Karikaturen mit den gesellschaftlichen und politischen Geschehnissen seiner Zeit auseinander. Das Lesen allerdings fiel ihm, wie nicht wenigen Menschen in den USA zu damaliger Zeit, schwer. So half ihm seine Frau durch ihre Belesenheit politische Auseinandersetzungen zu verstehen, die er dann in seinen Karikaturen leicht verständlich umsetzen konnte, was seine Karikaturen durchaus attraktiv machte, da sie auch dem nicht-lesenden Bevölkerungsanteil die Möglichkeit gaben, an politischen Diskussionen teilzunehmen. Seine Werke trugen beispielsweise dazu bei, den Widerstandswillen der amerikanischen Nordstaaten während des Bürgerkrieges zu stärken. Selbst der damalige Präsident Lincoln äußerte sich daraufhin wohlwollend über Nast. Durch seine auch nach dem Bürgerkrieg weiterhin veröffentlichen Karikaturen wurde Thomas Nast zu einem einflussreichen Journalisten in den USA. Im Dezember 1862 dann wünschte sich Präsident Lincoln eine weihnachtliche Zeichnung von Nast. Welche, bis heute bei Kindern und Erwachsenen populär gewordene Figur mit dicklichem Aussehen und weißem Bart daraus wohl entstanden ist? Die „New York Times“ schrieb 1872 über den Zeichner und seine „einzigartige politische Macht“. Insgesamt prägte Nast in seiner Zeit nicht nur den Elefanten für die republikanische Partei und den Esel als Symbol der demokratischen Partei, sondern eben auch das erste Bild des Weihnachtsmannes, oder in Amerika: Santa Claus.

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