
Autor: Jule
Auf dem Cover zu sehen sind zwei Frauen, die sich selbst ein Messer an die Kehle halten, der Name des Podcasts lautet “Mord Auf Ex”. Behandelte Themen sind: Mord, Missbrauch und Vergewaltigung. (Quelle 2) Im Unterschied zum klassischen Krimi sind die erzählten Geschichten reale Verbrechen, sie werden detailliert aufgearbeitet, diskutiert und schließlich in Form eines Podcast veröffentlicht. Die Liste an Fernsehsendungen, Magazinen und Podcasts dieser Art ist endlos. Alle fallen sie unter das Genre:
True Crime.
Während es mich schon beim Gedanken daran schaudert, bekomme ich von allen Seiten die Begeisterung für True Crime mit. Abends, wenn man alleine Zuhause ist oder sogar zum Einschlafen werden die realen Horrormärchen angeschaltet. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Kategorie einen großen Aufschwung erlebt und sich in vielen Ländern zum mit Abstand beliebtesten Podcast-Genre etabliert. (Quelle 2)
Doch was motiviert uns Menschen dazu,
die realen Schaudergeschichten zu
hören?
Was Jeden Einzelnen dazu bewegt, True Crime zu hören, ist selbstverständlich kaum zu beantworten. Amerikanische Studien haben jedoch einige Motive erforscht, die hinter dem Gruselfieber stecken könnten. (Quelle 3) Ein Grund ist die Wissensaneignung. Sherlock Holmes und der Tatort sind Klassiker und faszinieren Menschen seit Jahrzehnten. Ein Grund ist, dass Mordfälle uns Einblicke in für die meisten fremde Bereiche geben, wie die Gerichtsmedizin, das psychologische Profiling von Mördern und die juristische Handhabung. Während dies in Filmen nicht immer der Wahrheit entspricht, gibt uns True Crime realere Eindrücke in den Prozess der Mordaufklärung. Die Hostinnen des zu Beginn vorgestellten Podcast “Mord auf Ex” führen neben genauer Recherche auch Gespräche mit Überlebenden, Zeuginnen und Expertinnen.
Ist es also der große Wissensdurst, der die Hörerinnen zu True Crime bewegt? Amerikanische Studien zeigen: Nein! Das Bedürfnis nach neuem Wissen ist zum Teil vorgeschützt und nicht immer die primäre Motivation True Crime zu hören. Vielmehr ist das menschliche Bedürfnis nach Unterhaltung ein zentrales Motiv. (Quelle 3) Ein persönlicher Schicksalsschlag wird zur Massenunterhaltung und die Produzentinnen schlagen Profit daraus. Trotz des fragwürdigen Motivs hat das Format einen positiven Effekt. Durch True
Crime erlangen Mordfälle viel Aufmerksamkeit wodurch ihre Marginalisierung verhindert werden kann. Auffällig ist, dass die True Crime Hörerschaft zu 60-70% weiblich ist. Paradox, denn in den meisten
Tötungsdelikten sind Frauen die Mordopfer.
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 155 Frauen Opfer von Gewalttaten mit tödlichem Ausgang durch ihre (früheren) Partner. Das sind Morde an Frauen, weil sie Frauen sind- genannt Femizide. Außerdem wurden über 130.000 Frauen als Opfer von Partnerschafts- und fast True Crime, Femizide und eine weibliche Hörerschaft, wie passt das zusammen? 48.000 von innerfamiliärer Gewalt erfasst. (Quelle 5)
Überwiegend Frauen sind Opfer der
Mordgeschichten. Weshalb sind
dennoch gerade sie die größte
Hörerschaft von True Crime?
Ein Grund könnte sein, dass True Crime Frauen eine Schutzfunktion bieten kann. Diese Annahme stützte eine Umfrage des Max-Planck-Instituts (2017), welche zeigte, dass Frauen sich unsicherer fühlen
und mehr Angst haben als Männer und sich deshalb mehr mit Verbrechen beschäftigen. Eine stereotypischere Sichtweise ist, dass Frauen über höhere Empathie verfügen und deshalb größeres
Interesse haben, sich in die Beweggründe und Motive der Täter einzufühlen. (Quelle 6)
Kritisiert wird auch die stereotypische Rollenverteilung im True Crime Genre. Der kaltblütige Täter ist ein Mann, die Frau das hilflose Opfer. Die Forderung lautet: weniger stereotypische Fallbeispiele
zeigen und somit die Frau aus der Opferrolle befreien. Diese zunächst sehr plausibel klingende Forderung, weist bei näherer Betrachtung Probleme auf. Der weibliche Anteil an Gefängnisinsassen
befindet sich in Deutschland unter sechs Prozent und “nur bei 15% der Menschen, die für „Mord“ gefasst werden, handelt es sich um Frauen”. (Quelle 4) Es gibt Fälle, in denen die Rollenverteilung umgedreht
ist. Mit Blick auf die Fallzahlen ist es jedoch falsch den Mord an Frauen als ein Stereotyp und nicht als traurige Gegebenheit zu betrachten.
Ob True Crime nun aus Interesse oder zur Unterhaltung konsumiert wird, konnte nicht abschließend geklärt werden. Auch die Frage, weshalb vor allem Frauen eine große Hörerschaft bilden, konnte nicht eindeutig beantwortet werden. Mein zuvor sehr negatives Bild von True Crime hat sich durch die Recherchen für diesen Artikel jedoch aufgehellt, da ich die aufklärerische Funktion des Formats entdeckt habe. True Crime konfrontiert uns mit erschreckenden Zahlen und Fakten, wodurch uns ein schonungsloser Blick auf die Realität geboten wird.
Quellen:
Quelle 1: Podigee. Mord auf Ex [Podcast]. Abgerufen am 8. Januar 2025 von
https://mordaufex.podigee.io
Quelle 2: Wikipedia. (n. d.). True Crime (Genre). Abgerufen im Dezember 2024 von
https://de.wikipedia.org/wiki/True_Crime_(Genre)
Quelle 3: Medienradar. (11/2021). Rezeption und Kritik von True Crime. Abgerufen am 8. Januar 2025 von https://www.medienradar.de/hintergrundwissen/artikel/rezeptionund-kritik-von-true-crime
Quelle 4: Podimo. (2024, August). Morde, Macht und Misogynie: True Crime und Frauen. Abgerufen am Januar 2025 von https://podimo.com/de/blog/morde-macht-undmisogynie-true-crime-und-frauen
Quelle 5: Bundesministerium des Innern und für Heimat. (2024, November). Gewalt gegen Frauen. Abgerufen im Januar 2025 von
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/gewalt-gegenfrauen/gewalt-gegen-frauen-artikel.html
Quelle 6: MDR. (2023, Dezember). True Crime: Warum Frauen echte Verbrechen lieben. Abgerufen im Januar 2025 von https://www.mdr.de/medien360g/medienwissen/truecrime-warum-frauen-echte-verbrechen-lieben-100.html
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